Frühling im Herbst







Da viele Engelsdorfer 1989 an den Friedensgebeten und den Montagsdemonstrationen teilnahmen, sind die Ereignisse vom Herbst '89 hier in Kurzform aufgeschrieben. Fast alle wöchentlichen Demos erlebte ich mit, auch die, vor und am 9. Oktober. Friedlich waren im Herbst '89 in Leipzig die Leute die auf die Straße gingen. Staatssicherheit und Polizei keineswegs. Sie gingen vor dem 9.Oktober brutal gegen die Demonstranten vor.

Die DDR 1989/1990- das ist etwas, was jedem, war er nun direkt oder indirekt beteiligt, auch heute noch den Atem verschlägt. Eine sich in Wahnsinnstempo vollziehende Entwicklung ungeahnten Ausmaßes. Leipzig im Herbst '89 heißt vor allem: Nikolaikirche.



Hintergrund:
Über der DDR lag 1989 eine bleierne Tristesse. Nach dem letzten ZK-Plenum im Juni 89 hatte sich bei den DDR-Bürgern der Eindruck verfestigt, dass auch der nächste SED-Parteitag weder personelle noch inhaltliche Änderungen bringen werde. Das Gefühl der Perspektivlosigkeit war überall zu spüren. Verstärkt wurde das Gefühl durch die Wahlfälschung bei den Kommunalwahlen am 07.Mai sowie der offizielle Schulterschluss mit Chinas alter Garde, die mit einem Blutbad die "Konterrevolution" auf dem Platz des Himmlischen Friedens zerschlug.


Als Konterrevolution bezeichnete die kommunistische Parteihierarchie die Zerschlagung der chinesischen Demokratiebewegung am 03. und 04.Juni 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Bei der Niederschlagung des Aufstandes kamen mehrere Tausend Menschen ums Leben. Die chinesische Bewegung war von den Reformbestrebungen innerhalb des Ostblocks inspiriert. Unterstützung fand das harte chinesische Vorgehen gegen die Proteste bei der DDR-Führung. Die DDR-Zeitungen kommentierten am 5.Juni 1989: „Konterrevolutionärer Aufruhr in China wurde durch Volksbefreiungsarmee niedergeschlagen“.DDR-Politiker wie Hans Modrow und Egon Krenz besuchten China, um ihre Unterstützung zu dokumentieren. So äußerte sich Krenz im Juni 1989 mit den Worten, es sei „etwas getan worden, um die Ordnung wiederherzustellen“. In der Zuspitzung der Ereignisse der politischen Veränderung in der DDR tauchte zwischenzeitlich die Befürchtung auf, die Staatsführung der DDR könne sich für eine Chinesische Lösung entscheiden





Wirtschaftlich war die DDR am Ende . Dass die DDR hoch verschuldet war, hat Honecker stets in Abrede gestellt - selbst gegenüber Gorbatschow. Weder zunehmende Krisensignale noch düstere Prognosen von Wirtschaftsexperten wie dem Planungschef Schürer konnten Honecker von seinem unfinanzierbaren Kurs der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" abbringen. Um sich beim Volk beliebt zu machen, verteilte er Wohltaten auf Pump - finanziert zum großen Teil mit Hilfe von westlichen Krediten, deren Umfang Staatsgeheimnis war. Aus Angst vor politischen Unruhen wagte die DDR-Führung nicht, die subventionierten Preise für Mieten und Grundnahrungsmittel, Dienstleistungen und Verkehrsmittel anzuheben - was verheerende Folgen hatte: Weil die Billigmieten nur ein Drittel der Kosten deckten, waren in Privateigentum stehende Häuser dem Verfall preisgegeben. Bestes Beispiel war unser Haus in der damaligen Karl-Liebknecht-Str.6(jetzt Waldrebenweg).Es war vor der Wende zur Ruine verkommen. Die Miete für die Erdgeschoßwohnung betrug 70,00 DDR-Mark. Damit konnten nicht einmal die geringsten Reparaturen durchgeführt werden.Baumaterialien gab es nur mit Beziehungen oder man hatte barmherzige Westverwandte.

Und weil das subventionierte Brot billiger war als Weizen, wurden Hühner in der DDR mit Brot statt mit Getreide gefüttert. Am Ende ging mehr als ein Viertel des Staatshaushalts für Preissubventionen drauf - die DDR lebte über ihre Verhältnisse.
Als Hauptursache des Niedergangs erwies sich Artikel 9 der Verfassung: "Die Volkswirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik ist sozialistische Planwirtschaft." Nicht der Markt, sondern der Plan bestimmte die Preise. Die Produktion wurde nicht von der Nachfrage gesteuert, sondern durch Willkür der Regierenden.
Bereits Anfang der achtziger Jahre hatten die Auslandsschulden der DDR 24 Milliarden West-Mark erreicht. 1983 stand die DDR vor der Zahlungsunfähigkeit; nur ein Milliardenkredit westdeutscher Banken,vermittelt vom CSU-Chef Franz Josef Strauß,sorgte 1983 für Aufschub1.

Kontinuierlich nahm in den achtziger Jahren die Produktivität der Wirtschaft weiter ab, zugleich sank die Qualität der Waren, die in den verrottenden, umweltverseuchenden Betrieben erzeugt wurden. Aus Angst vor Arbeiteraufständen zeigte sich die SED in den folgenden Jahren nicht nur außer Stande, die enormen Ausgaben für Militär, Polizei und Geheimpolizei zu reduzieren; allein der Sold für die fast 100 000 Stasi-Hauptamtlichen belief sich alljährlich auf 1,7 Milliarden Ost-Mark. Mit der Staatssicherheit schufen sich die SED-Mächtigen der DDR ein Instrument, mit dem sie skrupellos und kriminell ihren Herrschaftsanspruch durchzusetzen versuchten. Da dieser Anspruch totalitär war, musste die Überwachung und Unterdrückung auf alle Teile des Lebens ausgeweitet werden; bis in den Privatbereich des einzelnen hinein.

Zurück zu der Kommunalwahl am 07.Mai 1989. Erstmals versammelten sich nach der Schließung der Wahllokale in diesen Bürger, um die Auszählung der Stimmen zu beobachten. Öfters wurden sie daran gehindert, obwohl nach den Gesetzen der DDR die Stimmauszählung öffentlich war. In so gut wie allen Wahlkreisen wurden von den Beobachtern deutlich mehr Neinstimmen registriert als offiziell bekanntgegeben. Durch die erstmals bewiesene Wahlfälschung wurde die Oppositionsbewegung der DDR erheblich gestärkt.


Anfang der 1980er Jahre rief die evangelische Kirche dazu auf, im November jeden Jahres Friedensdekaden durchzuführen. Hintergrund war das damalige atomare Wettrüsten in Ost und West und die Einführung des Wehrkundeunterrichts in den Schulen der DDR. Es entstand dabei eine unabhängige, nicht nur auf die Kirche beschränkte Friedensbewegung. Das Symbol war das biblische Motiv: "Schwerter zu Pflugscharen".

Es entstanden etliche Interessengemeinschaften und Arbeitsgruppen, die sich aus dem kirchlichen Umfeld heraus bildeten. Seit dem 20.September 1982 finden, außerhalb der Friedensdekaden, die Friedensgebete montags um 17:00 Uhr ohne Unterbrechung bis heute statt. Das erste Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche, wurde von der Jungen Gemeinde Probstheida mit Günter Johannsen durchgeführt. Es blieb aber mit der Zeit nicht nur bei der Friedensthematik. So wurden auch Fragen zu den Menschenrechten und der Umwelt angesprochen


Ab September sehen sich die Teilnehmer des Friedensgebetes, von Montag zu Montag, mit einem wachsenden Polizeiaufgebot konfrontiert. Das erste Friedensgebet nach der Sommerpause fand am 4.September '89 statt. Anschließend kommt es zu einem Demonstrationszug, der auf dem Leipziger Hauptbahnhof endet. Staatssicherheit und Polizei griffen schon auf dem Nikolaikirchhof ein - und das vor laufenden Kameras westlicher Sender. Links ein Ausschnitt aus der Tagesschau vom 04.09.1989.



Ungarn öffnet am 11.September seine Grenzen zu Österreich für DDR-Bürger. Am gleichen Tag riegelten Polizeiketten das Gebiet um die Nikolaikirche während des Gottesdienstes ab. Es werden knapp 100 Personen nach dem Friedensgebet festgenommen. Die Verurteilung erfolgt in der Manier von Standgerichten ohne Gerichtsverfahren. Die Berichterstattung in der Presse erfolgt im üblichen SED-Jargon( links die Meldung vom 12.September in der Leipziger Volkszeitung).




Eine Woche später, am 18.September, ist die Nikolaikirche überfüllt. Erneut ziehen Polizeiketten um die Kirche auf. Es werden wieder Demonstranten verhaftet.
Quelle Fotos:Tageschau 19.09.1989

Am 19.09. beantragt das Neue Forum Das Neue Forum war eine der Bürgerbewegungen, die in der Wendezeit in der DDR entstanden sind und die Wende wesentlich mitprägten. Ein Teil des Neuen Forums ging später im Bündnis 90 und schließlich in der Partei Bündnis 90/Die Grünen auf. Ein anderer Teil blieb als eigenständige Organisation erhalten. die Zulassung als offizielle Vereinigung. Das DDR-Innenministerium lehnt am 21.September die Zulassung des Neuen Forums ab und erklärt es als staatsfeindlich.


Die Staatssicherheit stellt am 23. September die Weitergabe des Gründungsaufrufes unter Strafe. Der Gründungsaufruf hing auch in der Nikolaikirche aus. Nach dem Friedensgebet, am 25.September, demonstrieren etwa 8000 Menschen vom Nikolaikirchhof in Richtung Hauptbahnhof. Etwa 8.000 Personen liefen bis zum Richard-Wagner-Platz. Dort löste sich der Demonstrationszug auf. Von dieser Situation offenbar überrascht, griff die Polizei nicht ein. Das Sekretariat der SED-Bezirksleitung beschließt am 27.September einen Katalog an Maßnahmen, mit denen die Opposition in den folgenden Wochen unterdrückt werden soll.


Zehntausende verließen im Sommer 1989 über die CSSR, Ungarn und Polen die DDR in Richtung Bundesrepublik. Die DDR schloss am 3.Oktober darauf hin endgültig ihre Grenzen. Zunehmend mehr Menschen sahen sich durch die Massenflucht veranlasst, protestierend auf die Straße zu gehen. So fand im Vorfeld der Demonstration am 2.Oktober auch ein Friedensgebet in der Reformierten Kirche am Tröndlingring statt, da die Nikolaikirche restlos überfüllt war. Am Abend bildete sich auf dem damaligen Karl-Marx-Platz der größte Demonstrationszug. An der Demonstration nahmen ca.25 000 Menschen teil.

Die Sicherheitskräfte versuchten den Zug durch eine Sperrkette in Höhe der Reformierten Kirche zu blockieren. Dem Druck der Masse hielten die Volkspolizisten nicht stand, sodass Tausende bis zur Thomaskirche liefen. Dort griff die Polizei erneut ein, erstmals in Sonderausrüstung mit Helm, Schild und Schlagstock sowie mit Hunden. Die SED rechtfertigte den bisher brutalsten Einsatz in Leipzig und diskreditierte die Demonstranten in der Leipziger Volkszeitung als Rowdys.


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Quellen:
1 "Der Spiegel" 11/1999




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