Frühling im Herbst (2)












In Berlin feierte die Staatsführung am 7.Oktober 1989 die letzten Tage ihrer Macht bei einer Militärparade und im Palst der Republik. Außerhalb dieses Bereiches jagte die Stasi und Polizei Demonstranten mit Gummiknüppeln, Hunden und große Brutalität. Fernsehbilder, heimlich aufgenommen, von Polizisten, die auf ein junges Mädchen einprügeln, gingen um die ganze Welt. In Leipzig versuchen verschiedene Gruppierungen in der Leipziger Innenstadt zu demonstrieren. Die Sicherheitskräfte gehen gewalttätig dagegen vor. Sie setzen Hunde und Wasserwerfer ein. 200 Personen werden verhaftet und in Pferdeställen auf der Agra festgehalten. Dort war schon im Vorfeld der Demonstrationen ein Internierungslager für den "Spannungsfall" vorgesehen.




Bereits Ende 1988 waren in der DDR 17 Isolierungslager vorgesehen. In den regelmäßig aktualisierten Listen des MfS gab es zu der Zeit ca. 3000 "feindlich-negative Kräfte" die bei "Bedarf" festgenommen werden sollten. Weitere 11 000 sollten in die geplanten Internierungslager gesperrt und mehr als 70 000 verschärfter Überwachung unterworfen werden.

Erneut kommt es am 8.Oktober in mehreren Städten der DDR zu Demonstrationen. Während in Dresden auf initiative der evangelischen und katholischen Kirche der Polizeieinsatz beendet wird und erste Gespräche zwischen Vertretern der Demonstranten und des Stadtrates verabredet werden, wird in anderen Städten gegen jeder Bürgeransammlung rüde vorgegangen. Tausende Bürger werden festgenommen und oftmals mißhandelt. Stasi-Chef Mielke befiehlt "volle Dienstbereischaft2 für alle Dienststellen und fordert die Einleitung von Maßnahmen, die eine kurzfristige Verhaftung oppositioneller Gruppen ermöglicht. Waffenträger sollen ihre Waffen stets bei sich tragen. In Leipzig wird darauf ein "Operativer Einsatzstab" gebildet. In den folgenden Stunden werden die Verhaftungen von mehreren hundert Oppositionellen vorbereitet.



9.Oktober

Die "sozialistischen Staaten", die sich als aus der proletarischen Revolution hervorgegangene Staaten verstanden, bezeichneten die gegen sie gerichtete innere Opposition als konterrevolutionär, was aber schon im Ansatz nicht stimmt. In der DDR und den anderen Ostblockstaaten gab es nie eine proletarische Revolution. Es waren, im sowjetischen Einzugsgebiet nach dem 2. Weltkrieg, Statthalter der Mächtigen in Moskau.

Über Leipzig lag die Tage vom 2. bis zum 9.Oktober 1989 eine zum Zerreißen gespannte Atmosphäre. Die Angst dass die Montagsdemonstration am 9.10. blutig unterdrückt werden würde, war allgegenwärtig. Aggressionen verwandelten sich in Drohungen. Es drohten die, die ihre Privilegien verloren. Die Angst vor einer "Chinesischen Lösung" verschärfte sich noch, als Egon Krenz während der Anfänge der revolutionären Entwicklung am 1.10.1989 zum 40.Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China dorthin reiste.

In der Stadt kursierten verschieden Gerüchte über militärische Vorbereitungen .Uns Leipzigern wurde unverhohlen gedroht, was sich in einen Artikel der Leipziger Volkszeitung vom 06.10.1989 niederschlug. Jeder, der geübt war die SED-Presse zu lesen, konnte erkennen, dass ein militärischer Einsatz geplant war.

An zentralen Punkten warteten Hunderte von Polizisten auf mit Planen zugehängten ELOs auf ihren Einsatz. Auf dem Neumarkt und neben dem Hotel Leipzig waren Hundertschaften der Kampfgruppen aufgefahren. Die Stasi war allgegenwärtig; in den Kirchen, in Gebüschen am Straßenrand und unter den Passanten der Innenstadt.

Der demonstrative Aufzug des Militärs am frühen Nachmittag und der Staatssicherheit sollte die Angst unter den Demonstranten schüren. Ich arbeitete damals im Fernmeldeamt Leipzig als Elektriker. Das Fernmeldeamt war ein superroter Verein , durchsetzt mit Stasi, Armee und Zivilverteidigung. Schon vormittags fuhren Armee-Jeeps und Polizeiautos mit eingeschalteten Martinshorn pausenlos den Grimmaischen Steinweg entlang um den Leuten Angst einzujagen. Wir bekamen zur Mittagspause den dringenden Hinweis, nicht zur Demonstration zu gehen.

Nach Feierabend pilgerte ich zur Nikolaikirche, die aber schon hoffnungslos überfüllt war. Dort hatten schon 14:00 Uhr mehrere hundert SED-Genossen Platz genommen frei nach dem Motto: "Wo die Partei ist, hat der Klassenfeind keinen Platz." Ich fand schließlich in der Thomaskirche einen freien Sitz. Die Friedensgebete begannen zeitgleich in vier evangelischen Kirchen im Zentrum: Nikolaikirche, Thomaskirche, Michaeliskirche und Reformierte Kirche.

Ca. 10 000 Personen nahmen an den Andachten teil. Die Situation in den Gottesdiensten war einmalig. Überall drängten sich die Menschen. Es herrschte gespannte Aufmerksamkeit und atemlose Stille.


Trotz massiver Warnungen, in die Innenstadt zu gehen, versammelten sich dort nach den Friedensgebeten etwa 70 000-80 000 Menschen. In breiten Reihen bewegte sich der Demonstrationszug vom Karl-Marx-Platz über den Georgiring, am Hauptbahnhof vorüber, um die Innenstadt, dann an der "Runden Ecke" vorbei. Brenzlig wurde es kurz vor dem Stasi-Gebäude, als der Ruf "Umkehren!" ertönte. Es war aber falscher Alarm, und mit dem Ruf "Keine Gewalt" ging es dann friedlich an der Stasi vorbei.



Quelle: You Tube
Die Rechte für diese Aufnahmen liegen bei Siegbert Schefke und Aram Radomski


Vom Turm der Reformierten Kirche gegen über der "Blechbüchse" drehten Siegbert Schefke und Aram Radomski mit einer Videokamera erstmals Bilder von den Ereignissen in Leipzig. Sie schleusten auf abenteuerlichen Weg die Aufnahmen nach Westberlin und schufen damit ein wertvolles Zeitdokument.


Am damaligen Karl-Marx-Platz löste sich die Demonstration dann auf. Eine große Erleichterung machte sich über der Stadt breit. Durch die Überzahl an Demonstranten waren alle Einsatzpläne zur "Niederschlagung der Konterrevolution" passé.


Der Leipziger Volkszeitung war diese Demonstration nur eine kleine Notiz auf Seite 2 wert. Trotzdem: Die Kriminalisierung der Demonstranten ließ sich nicht länger aufrechterhalten.





Stasichef Mielke schickt am 16. Oktober ein Telegramm an die Leiter aller Diensteinheiten, worin er Anweisungen gibt, verstärkt Kontrollmaßnahmen durchzuführen, damit es nicht zu weiteren Demonstrationen kommt.

Das Friedensgebet findet an diesem Tag in 5 Leipziger Kirchen statt. Danach kommt es zu einer Demonstration von ca.150 000 Bürgern um den Leipziger Innenstadtring. Es ahnten die wenigsten, wie gefährdet die Demonstranten auch an diesem Tage waren. Von den Demonstranten befürchtete niemand mehr eine Verhinderung der Demonstration.Kaum jemand ahnte, dass wiederum nur die hohe Demonstrantenzahl ein Eingreifen der Truppen verhinderte. Nach dem 9.Oktober hat sich Egon Krenz immer wieder für die militärische Option einer Zerschlagung der Demonstrationen ausgesprochen. Die Gewaltanwendung sollte unter Vermeidung des Gebrauchs von Schusswaffen erfolgen. Am 13. Oktober 1989 formulierte Krenz mit dem Stabschef des Nationalen Verteidigungsrates Oberst Streletz einen Befehl, der für das nächste Leipziger Friedensgebet am 16.10., 68 NVA-Hundertschaften in Bereitschaft versetzte und eine militärische "Marschstraße" nach Leipzig festlegte.1 Der Bezirksbehörde der Volkspolizei Leipzig wurde im "Auftrag des Genossen Krenz" mitgeteilt, dass für den 16.Oktober 1989 der Einsatz bewaffneter Kräfte und der NVA geplant waren, mit dem Ziel, "unter allen Umständen" eine "Massendemonstration im Zentrum Leipzigs" zu verhindern.2 Krenz behauptete am 17. November 1989 schließlich während einer Volkskammersitzung vor Journalisten, er sei am 9.Oktober persönlich in Leipzig gewesen, um "politische Dinge politisch zu lösen".3 In Wirklichkeit kam er erstmals am 13.Oktober nach Leipzig.



1Hollitzer:Heute entscheidet sich-die oder wir
2Aktennotitz des Stabschefs der VP Bezirksbehörde Oberst Burghardt
3Zit. nach Spiegel 48/89
Foto Demonstration: 16.10.89-Armin Kühne

Am 23. Oktober 1989 demonstrieren in Leipzig 250 000 Bürger für ein Ende der SED- Herrschaft. Einen Tag darauf, am 24.Oktober 1989, wird Egon Krenz Vorsitzender des Staats-und des Nationalen Verteidigungsrates.






Die Berliner Mauer war der letzte Akt der Teilung der durch die Nachkriegsordnung der Alliierten entstandenen Viersektorenstadt Berlin. Sie war Bestandteil und zugleich Symbol des Konflikts im Kalten Krieg zwischen den von den Vereinigten Staaten dominierten Westmächten und dem Ostblock unter der Führung der Sowjetunion.
Durch den Beschluss der Sowjetunion Anfang August 1961 und mit einer später ergehenden Weisung der DDR-Regierung errichtet, ergänzte die Mauer die knapp 1400 Kilometer langinnerdeutsche Grenze zwischen der DDR und der BRD, die bereits geraume Zeit vorher "befestigt" worden war, um den Flüchtlingsstrom aus dem "Arbeiter- und Bauernparadies" zu stoppen.

Seit dem 6. Oktober 1961 gab es einen Befehl des damaligen DDR-Verteidigungsministers Armeegeneral Hoffmann, der die Grenztruppen der DDR verpflichtete, die Schusswaffe nach Zuruf und Warnschuss sofort scharf anzuwenden, wenn Flüchtlinge nicht auf andere Weise festzunehmen seien. In einer Rede, die filmisch festgehalten wurde, sagte Hoffmann: „Wer unsere Grenze nicht respektiert, der bekommt die Kugel zu spüren.“

Die Berliner Mauer wurde am Abend des 9. November 1989 im Zuge der politischen Wende geöffnet. Diese wurde unter dem wachsenden Druck der mehr Freiheit fordernden DDR-Bevölkerung vollzogen. Der Mauerfall ebnete den Weg, der innerhalb eines Jahres zum Zusammenbruch der SED-Diktatur, zur Auflösung der DDR und gleichzeitig zur staatlichen Einheit Deutschlands führte.

Ca.100 Ost-Berliner versammeln sich laut Lagebericht der Volkspolizei an den Grenzübergängen Bornholmer Straße, Invalidenstraße und Heinrich-Heine-Straße. Während dort die MfS-Passkontrolleure auf Befehle warten, befindet sich die Partei- und Staatsspitze der SED in einer Sitzung. Danach begibt sich Egon Krenz in sein Arbeitszimmer. Dort erreicht ihn um 22 Uhr ein Anruf von Erich Mielke, der ihn über die Lage an der Grenze informiert. Eine eindeutige Anweisung von Krenz oder Mielke gibt es in dieser Nacht nicht. Um 23.30 Uhr öffnet Oberstleutnant Harald Jäger am Grenzübergang Bornholm Straße den Schlagbaum. Tausende überrennen die Kontrolleinrichtungen Richtung West-Berlin.



 

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